Rehabilitation und Familienorientierte Rehabilitation bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern

von Prof. Dr. W. Rosendahl und S. H. van der Mei, Nachsorgeklinik Tannheim

Einleitung

Während für erwachsene kardiologische Patienten die Rehabilitation längst fester Bestandteil eines integrierten Betreuungskonzeptes ist, wird die Notwendigkeit einer medizinischen Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen mit angeborenen Herzfehlern (AHF) meist abgelehnt weil angeblich der Bewegungsdrang des Kindes und sein Lebenswille dies unnötig macht. Ambulant durchgeführte sportmedizinische Programme haben aber gezeigt, dass Kinder nach Herzoperationen durch Teilnahme an einem solchen Programm bezüglich Leistungsfähigkeit, Kraft, Ausdauer und Geschicklichkeit profitieren und zudem an Selbstvertrauen und Sicherheit gewinnen. Die Anpassungsprozesse durch rehabilitative Maßnahmen sind für die Lungen, die Skelettmuskulatur und die Gefäßversorgung wissenschaftlich untersucht, so dass die Auswirkungen einer Rehabilitation messbar sind und am Erfolg nicht gezweifelt werden kann.

In der frühen oder späteren postoperativen Phase spielen auch andere Rehabilitationsziele eine große Rolle. Erwähnt sei die Verbesserung des Lungenfunktion durch Atemgymnastik, die Vermeidung von Fehlhaltungen durch Krankengymnastik, die psychomotorische Entwicklungsförderung, die Vertrauensbildung in die eigene Leistungsfähigkeit und das Erlernen des richtigen Verhaltens im alltäglichen Leben. Bei komplexen Fehlbildungen besteht oft erst nach der Operation des AHF die Chance auf eine intensive Entwicklungsgymnastik.

Bei Patienten mit AHF besteht, überspitzt formuliert, das Problem, dass durch die Komplexität der Herzfehler und der Operationsergebnisse kein Patient mit einem anderen vergleichbar ist. Daraus ergeben sich große Schwierigkeiten, Richtlinien für die Rehabilitation zu erstellen und wissenschaftliche Ergebnisse vorzulegen. Deshalb kann heute die Frage: „Welcher Patient profitiert von wie viel und welchem Sport bzw. wie sehr kann er sich körperlich belasten oder wie viel Sport oder körperliche Belastung schadet welchem Patienten?“ nicht sicher beantwortet werden. Klar ist aber auch, dass Rehabilitation von Patienten mit AHF nur in einer qualifizierten Klinik unter der Obhut eines Kinderkardiologen durchgeführt werden kann.

Rehabilitationsziele

Das allgemeine formulierte Rehabilitationsziel ist die Wiederherstellung der optimal erreichbaren körperlichen, geistigen und seelischen Verfassung des Patienten. Folgende Einzelziele können genannt werden:

  • Optimierung der Arbeit des Herzens
  • Optimierung der Arbeit der Skelettmuskulatur
  • Optimierung von Atmung und Lungenfunktion
  • Optimierung der antiarrhythmischen Therapie
  • Behandlung postoperativer Komplikationen
  • Behandlung extrakardialer Komplikationen
  • Allgemeine Rekonvaleszenz
  • Aufholen von Entwicklungsrückständen
  • Vertrauen entwickeln in die eigene Leistungsfähigkeit
  • Angemessenes Verhalten im täglichen Leben erlernen
  • Vollständiges Wissen über die Erkrankung erlernen, einschließlich Schulungen z. B. über Markumarisierung oder Endokarditisprophylaxe
  • Aufbau einer gesundheitsfördernden Beziehung zum medizinischen Team ermöglichen

 

Warum Familienorientierte Rehabilitation in der Kinderkardiologie?


Das Konzept der Familienorientierten Rehabilitation (FOR) wurde für tumorkranke Kinder entwickelt, deren langwierige und nebenwirkungsreiche Therapie zusammen mit der unsicheren Prognose zu einer schweren Belastung der gesamten Familie führt, die soziale Funktion der Familie erschüttert und die Gesundheit aller Familienmitglieder gefährdet. Gibt es bei Patienten mit AHF Parallelen zu krebskranken Kindern und ihren Familien? Diese Frage kann sicher mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden. Bei komplexen AHF und bei „normalen“ Herzfehlern mit Komplikationen liegt eine langwierige Erkrankung vor, die zu starken physischen und psychischen Belastungen des Patienten und der gesamten Familie, bis hin zur Lebensbedrohung, führt. Bei notwendigen Reoperationen wird die Prognose der Erkrankung immer ungewisser. Ein kleinerer Teil der Patienten lebt behindert durch Zyanose, Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen, Komplikationen u. a. als chronisch Kranker. Insgesamt gehen wir davon aus, dass bei ca. 20 % der Patienten mit AHF (systematische Untersuchungen fehlen!) die gleichen psychosozialen Probleme wie bei onkologischen Patienten bestehen. Verhaltensauffälligkeiten, emotionale Probleme, vermindertes Selbstbewusstsein, geringe soziale Kompetenz und Schulschwierigkeiten treten gehäuft auf. Es ist leicht verständlich, dass ein labiles Familiengefüge unter der Last einer chronischen Erkrankung zusammenbricht. Für das Gelingen der Anpassungsprozesse an die Erkrankung ist aber eine „funktionierende“ Familie äußerst wichtig. Allerdings versteht der Gesetzgeber die FOR nur als notwendige Voraussetzung für das Erreichen der Rehabilitationsziele des herzkranken Patienten, während in der Realität primäre Indikation (Erschöpfung, psychosomatische Beschwerden, Vernachlässigung der eigenen Gesundheit, Konflikte mit den gesunden Geschwistern und vieles andere mehr als primäre Indikation zur Rehabilitation) auch bei den Familienmitgliedern vorliegen.

Die FOR erweitert die Aufgaben der Rehabilitationsklinik beträchtlich. Beim Patienten und bei all seinen Familienangehörigen werden durch Gespräche, Beobachtungen, durch offene und strukturierte Interviews, evtl. durch Testverfahren, Fehlentwicklungen in allen psychosozialen Bereichen aufgedeckt. Für die therapeutischen Maßnahmen im psychosozialen Bereich muss eine breite Palette zur Verfügung stehen um allen Bedürfnissen der sehr unterschiedlich strukturierten Familien gerecht werden zu können. Die psychosoziale Abteilung der Klinik muss gleichwertig neben der medizinischen Abteilung stehen.

Der Antrag für die Familienorientierte Rehabilitation

Gesetzliche Grundlagen
Die FOR ist (noch) keine gesetzliche Leistung der Kostenträger. Dennoch werden Familienorientierte Rehabilitationsmaßnahmen in aller Regel durch die Krankenkassen gem. § 40 Abs. 2 SGB V (Sozialgesetzbuch V) oder den Rentenversicherungsträger gem § 31 SGB VI bewilligt. Es besteht also eine Anspruchskonkurrenz, d. h. eine Anspruchsberechtigung, gegenüber beiden Versicherungszweigen. Primär zuständig sollte die Krankenkasse sein, da sie die weitergehenden Leistungen erbringt. Die uneinheitliche Bewilligungspraxis und die ablehnende Haltung einiger Rentenversicherungsträger bedingen einen oftmals sehr komplizierten Antragsweg. Für den Antrag sollten deswegen erfahrene Personen, wie z. B. der Psychosoziale Dienst der Klinik, in Anspruch genommen werden. Nach einer Verwaltungsabsprache der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Rentenversicherungsträger sind die Kosten einer FOR von dem Hauptleistungserbringer (dies ist in der Regel die Krankenkasse des Patienten) zu übernehmen.

Für die Aussicht auf Genehmigung ist die Qualität des Antrages entscheidend. Der Antrag sollte ein ausführliches Gutachten der Klinik oder des behandelnden Arztes enthalten, in dem die Indikationen und die Rehabilitationsziele des Patienten eindeutig beschrieben sind und die Notwendigkeit der Einbeziehung der gesamten Familie glaubhaft begründet ist.

Das Antragsverfahren
Der behandelnde Arzt oder die Klinik (Arzt und Psychosozialer Dienst) beurteilt und begründet die Notwendigkeit der FOR für die einzelnen Familienmitglieder und für die Familie als Ganzes. Besteht an den Krankenversicherungsträger kein Anspruch oder wurde der Antrag von ihm abgelehnt, wenden Sie sich unter Bezug auf § 31 SGB VI mit einem weiteren Antrag an den Rentenversicherungsträger. In einzelnen Fällen sind Mischfinanzierungen beider Kostenträger möglich.

Beihilfeberechtigte stellen den Antrag auf eine Sanatoriumsbehandlung gem § 7 BV bei der Beihilfestelle. Der Beihilfesatz umfasst Unterkunft, Verpflegung und therapeutische Grundversorgung. Zusätzliche ärztliche und medizinisch-therapeutische Leistungen werden entsprechend den Bestimmungen der GOR abgerechnet.

Sonstige Hilfen: Um einen möglichst reibungslosen Übergang von der Akut- in die Rehabilitationsbehandlung zu ermöglichen, übernimmt in Ausnahmefällen für die Nachsorgeklinik Tannheim die Kinderkrebsnachsorge - Stiftung für das chronisch kranke Kind - eine Ausfallbürgschaft bis die endgültige Finanzierung mit dem Kostenträger geklärt ist.

Wenn Sie Probleme mit der Kostenübernahme haben, sollten Sie die Rehabilitationsklinik anrufen und fragen, ob Hilfe bei der Antragstellung möglich ist.


Strukturelle Anforderungen an die Kliniken für FOR
Voraussetzung für die Rehabilitation in der medizinischen Abteilung ist eine gute apparative Ausstattung (EKG, Langzeit-EKG, Echokardiographie, Ergometrie, evtl. Lungenfunktion und Spiroergometrie) sowie fachkundiges Personal. Nur eine ausführliche Erfassung der augenblicklichen Leistungsfähigkeit und von Risiken durch die körperliche Belastung erlaubt den Aufbau eines sinnvollen Trainingsprogramms während der Rehabilitation. Der Patient muss von geschulten Physio- und Sporttherapeuten begleitet werden.

Die Eltern und Geschwister haben den Status von Begleitpersonen. In einer Klinik für FOR werden sie medizinisch und psychosozial mitbetreut. Alle Familienmitglieder werden zu einer ärztlichen Untersuchung und zu einem Aufnahmegespräch eingeladen. Bei den Eltern erfolgt eine Screening-Laboruntersuchung zur Erfassung der Organfunktionen und von Risikofaktoren. Neben den üblichen Zivilisationserkrankungen werden aktuelle Beschwerden behandelt. Die psychosoziale Betreuung umfasst alle Aspekte der Einzelpersonen und der Familienstruktur. In der psychosozialen Abteilung sollten Familientherapeuten, Sozialpädagogen und Erzieher mit Erfahrungen im Umgang mit chronisch kranken Kindern zur Verfügung stehen. Die Fortführung des Schulunterrichtes erlaubt den Patienten und den Geschwistern Anschluss an die Klasse zu halten. Aus dem oben aufgeführten sehr komplexen Aufgabenfeld ist ersichtlich, dass die FOR in keiner Weise mit einer Mutter-Kind-Kur vergleichbar ist. Nur wenn die medizinische und die psychosoziale Betreuung harmonisch ineinander greift, ist ein Erfolg zu erwarten.

VS-Tannheim, März 2000

Postadresse:

Ilona Rödel
Ankerstraße 19 E
46117 Oberhausen

Telefon:
02 08 / 8 82 31 70

E-Mail:
roedel(at)idhk.de

Unsere Spendenkonten:

Sparkasse Gelsenkirchen
IBAN
DE85 4205 0001 0101 0028 82
BIC
WELADED1GEK

Sparda-Bank
Baden-Württemberg eG
IBAN
DE85 6009 0800 0010 0056 97
BIC
GENODEF1SO2

C.H.I.N.
www.kompetenznetz-ahf.de
www.ankk.de
www.kinderkardiologie.org