Bluthochdruck bei Kindern und Jugendlichen

Eine unterschätzte Gefahr für Herz und Blutgefäße

Dr. med. Martin Hulpke-Wette

Von hohem Blutdruck, korrekt als arterielle Hypertonie bezeichnet, sind zwar vorwiegend ältere Menschen betroffen, aber immer häufiger wird Bluthochdruck auch schon bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen festgestellt. Bleibt er unerkannt oder wird nicht konsequent behandelt, können sich gefährliche Spätschäden entwickeln. Bedroht sind vor allem das Herz (Herzinsuffizienz, d. h. Herzmuskelschwäche), das Gehirn (Schlaganfall, ferner erhöhtes Risiko für eine bestimmte Demenzform), die Nieren (Nierenfunktionsstörungen bis zum Nierenversagen) und die Augen (Netzhautschäden). Bei Menschen mit angeborenem Herzfehler – unabhängig davon, wie gut dieser operativ korrigiert werden konnte – sollte besonders sorgfältig darauf geachtet werden, dass der Blutdruck im unbedenklichen Bereich liegt.

Wo beginnt hoher Blutdruck?
Im Dezember 2013 haben die amerikanischen Fachgesellschaften ihre Leitlinien zum Bluthochdruck aktualisiert und dabei sogar etwas gelockert. Für Menschen mit 60 Jahren und älter gilt jetzt generell, dass der Blutdruck unter 150/90 mmHg liegen soll. Für alle, die jünger als 60 Jahre alt sind, liegt die Grenze weiterhin bei 140/90 mmHg. Während früher für Erwachsene unter 60 Jahren mit Diabetes oder Nierenerkrankungen noch niedrigere Blutdruckziele galten, soll der Wert jetzt wie bei allen anderen dieser Altersgruppe unter 140/90 mmHg liegen. Für Kinder und Jugendliche gelten andere Grenzwerte und strengere Behandlungsziele (siehe unten).

In Deutschland leben nach vorsichtiger Schätzung 700.000 Kinder und Jugendliche, die in mehrfach durchgeführten Blutdruckmessungen zu hohe Werte hatten. Vermutlich haben nicht alle von ihnen wirklich Bluthochdruck, aber weiterführende ärztliche Untersuchungen sollten dies genau abklären.
700.000 möglicherweise von Bluthochdruck betroffene Kinder und Jugendliche sieht nach einer großen Zahl aus. Das sind etwa 4 bis 5?% aller Menschen dieser Altersgruppe. Gemessen daran, dass der Anteil von Menschen mit arterieller Hypertonie bei den jungen Erwachsenen bis zu 30% beträgt und zwischen 35 und 65 Jahren 50% (Frauen) bzw. 60% (Männer) ausmacht, ist das aber ein eher niedriger Anteil.

Jeder 20. Jugendliche hat einen Bluthochdruck
Bluthochdruck ist über Jahrzehnte in der Kinderheilkunde und Jugendmedizin unterschätzt worden, unter anderem weil im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen kaum regelmäßige Blutdruckmessungen vorgenommen wurden. Bis vor Kurzem war die gängige Lehrmeinung, dass von Bluthochdruck vorwiegend Kinder mit angeborenen und erworbenen Nierenerkrankungen betroffen sind. Folglich wurde der Blutdruck bei nierengesunden Kindern nicht gemessen, weil man gar nicht auf die Idee kam, dass er erhöht sein könnte.

Ist eine bestimmte Erkrankung die Ursache für den Bluthochdruck, spricht man von sog. sekundärer Hypertonie. Zu solchen Erkrankungen gehören neben Nierenleiden u. a. auch Schilddrüsenüberfunktion, seltene andere Hormonstörungen, die Einnahme bestimmter Medikamente sowie die Aortenisthmusstenose, die zu den angeborenen Herzfehlern zählt. Lässt sich Bluthochdruck jedoch nicht auf eine andere vorbestehende Erkrankung zurückführen, spricht man von sog. primärer Hypertonie, die gelegentlich auch als essenzielle Hypertonie bezeichnet wird.

Wird bei einem Menschen in mindestens drei Messungen an verschiedenen Tagen ein zu hoher Blutdruck festgestellt, spricht das für eine Hypertonie. Zunächst muss abgeklärt werden, ob es sich um einen sekundären Hochdruck handelt. Falls ja, wird die Grunderkrankung behandelt. Oft gelingt es damit, den Blutdruck zu normalisieren. Findet sich jedoch keine solche Ursache, handelt es sich um eine primäre Hypertonie.

Bei Erwachsenen wusste man schon lange, dass Bluthochdruck in über 90% der Fälle keine organische Ursache hat, also primär (= essenziell) ist. Erst neuere Studien haben gezeigt, dass auch bei Kindern in über 90% keine organische Ursache besteht, sondern eine primäre Hypertonie vorliegt. Dennoch sollte bei allen Kindern mit Bluthochdruck grundsätzlich eine mögliche organische Ursache ausgeschlossen werden. Das gilt vor allem dann, wenn die Kinder nicht übergewichtig und noch sehr jung sind.

Was ist bei Kindern ein normaler Blutdruck?
Während für Erwachsene relativ simple Regeln gelten, ab wann der Blutdruck zu hoch ist (siehe oben), gibt es für Kinder keine so einfach anzuwendenden Grenzwerte. Vielmehr bestimmt man dafür bei einer großen Zahl von Kindern (sog. Referenzgruppe) in Abhängigkeit von Körpergröße, Alter und Geschlecht den Blutdruck. Fachleute sind übereingekommen, von Hochdruck zu sprechen, wenn die bei einem zu untersuchenden Kind gemessenen Werte gleich oder höher als die 95. Perzentile der Referenzgruppe liegen. Das bedeutet, dass 95% dieser Bezugsgruppe niedrigere Blutdruckwerte haben.

Hochdruck kann in der Familie liegen
Weitere Details dazu können in der 2012 aktualisierten Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie nachgelesen werden, die unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/023-040.html (auch: http://www.kinderkardiologie.org/Leitlinien/LL%20Arterielle%20Hypertonie.pdf) abrufbar ist. Die Leitlinie bezieht sich auf alle Kinder und Jugendlichen und beschreibt, wie der Blutdruck gemessen werden soll, welche Krankengeschichte erhoben werden muss, wie die weitere Diagnostik erfolgen soll, wann und wie eine Behandlung durchgeführt und wie der Patient nachbeobachtet werden soll.

Die primäre Form des Bluthochdrucks tritt familiär gehäuft auf. Es ist daher immer wichtig, auf die Familienanamnese (Familienvorgeschichte) zu achten: Haben die Eltern und/oder Großeltern eine arterielle Hypertonie, so sind auch die Kinder oft betroffen. Bislang ist aber nicht bekannt, warum sich eine primäre Hypertonie manchmal schon im frühen Kindesalter zeigt, z. B. schon mit zwei Jahren, bei anderen der Blutdruck erst im Jugendlichenalter bedeutsam ansteigt. Sicher ist heute aber, dass Kinder mit sog. hochnormalen Blutdruckwerten (d. h. knapp unter der Grenze zum Hochdruck) und mit sog. Weißkittel-Bluthochdruck ein erhöhtes Risiko haben, dass sich später eine wirkliche Bluthochdruckerkrankung entwickelt. Solche Kinder sollten daher immer regelmäßig nachuntersucht werden. Weißkittel-Hochdruck bedeutet, dass der Blutdruck in der Sprechstunde (in Anwesenheit der Ärztin oder des Arztes im weißen Kittel) erhöht ist – vermutlich wegen der Anspannung in dieser Situation –, aber z. B. zu Hause normale Werte gemessen werden.

Typische Symptome bei Kindern mit Hochdruck
Eine arterielle Hypertonie kann lange Zeit ohne Symptome bleiben. Im Kindes- und Jugendalter geht sie aber häufig mit Kopfschmerzen, Schwindel, Nasenbluten, Lern- oder Konzentrationsstörungen sowie Ohrgeräuschen (Tinnitus) einher. Besonders häufig haben übergewichtige Kinder und Kinder mit Schlafstörungen hohen Blutdruck. Bei körperlichen Belastungen kann das Gefühl von Atemnot entstehen.

Folgeschäden schon bei Kindern
Klagen Kinder über solche Beschwerden, sollte bei ihnen auf jeden Fall der Blutdruck gemessen werden. Darüber hinaus fordern Fachleute seit Langem, generell bei jedem Kind ab dem dritten Lebensjahr einmal im Jahr den Blutdruck zu kontrollieren.

Bluthochdruck kann, wenn er unentdeckt und daher unbehandelt bleibt, bereits bei Kindern zu Organschäden führen und stellt daher ein ernst zu nehmendes Krankheitsbild dar. Auf der anderen Seite weiß man, dass sich bereits bestehende Organschäden durch eine konsequente Behandlung wieder zurückbilden können. Ein Beispiel sind Verdickungen der linken Herzkammer, die sich als Anpassungen an lange bestehenden Bluthochdruck entwickeln (sog. linksventrikuläre Hypertrophie). Nach eigenen Beobachtungen lassen sich solche krankhaften Verdickungen des Herzmuskels nach längstens drei Jahren Behandlung wieder zu Normalbefunden zurückführen.

Bluthochdruck hat bei Kindern nicht nur direkte Auswirkungen auf Herz, Nieren und andere Organe. Die Hochdruckerkrankung ist darüber hinaus ein wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung der Arteriosklerose (Verhärtung und Verengung von Arterien). Die Arteriosklerose lässt sich bei entsprechenden Risikofaktoren schon im Kindes- und Jugendalter nachweisen und führt unbehandelt u. a. zu den Krankheitsbildern Herzinfarkt und Schlaganfall.

Da über 95% der Kinder mit angeborenem Herzfehler heute das Erwachsenenalter erreichen, spielt die allgemeine Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall auch für diese Gruppe eine zunehmend wichtige Rolle. Ein Mosaikstein der Vorbeugung ist die Kontrolle des Blutdrucks.

Hochdruck und angeborener Herzfehler
Darüber hinaus gibt es einige angeborene Herz- und Gefäßerkrankungen, die besonders häufig mit einem Bluthochdruck einhergehen können. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die Aortenisthmusstenose (siehe IDHK-Nachrichten Nr. 52). Die Betroffenen können auch nach optimalem Ergebnis der chirurgischen Therapie einen zuvor schon bestehenden Bluthochdruck behalten. Da sich ein Hochdruck aber auch erst Jahre nach einer erfolgreichen Operation entwickeln kann, sollte der Blutdruck bei Patienten mit Aortenisthmusstenose ein Leben lang regelmäßig überprüft werden.

Kinder nach Herztransplantation haben generell ein deutlich höheres Risiko für eine Arteriosklerose der Herzkranzarterien. Hier ist es besonders wichtig, dass keine erhöhten Blutdruckwerte vorliegen. Schließlich muss auch nach durchgemachter Kawasaki-Erkrankung (siehe IDHK-Nachrichten Nr. 51) mit Beteiligung der Koronararterien darauf geachtet werden, dass nicht zusätzliche Risiken für eine Gefäßerkrankung vorliegen.

Ob Kinder, die unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine operiert wurden, später ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Bluthochdruck haben, ist nicht bekannt.

Zuerst immer ohne Medikamente
Wenn bei Kindern und Jugendlichen erhöhte Blutdruckwerte vorliegen, ist das Behandlungsziel, den Wert sicher unter die 95. Perzentile (siehe oben) zu senken. Einzelne Experten raten sogar, den Blutdruck sicherheitshalber unter die 90. Perzentile zu bringen. Besteht bereits eine chronische Nierenfunktionsstörung, soll der Blutdruck unter die 70. Perzentile gesenkt werden, bei zusätzlicher Eiweißausscheidung im Urin (Proteinurie) sogar unter die 50. Perzentile. Erreichen will man damit, dass sich Folgeschäden gar nicht erst entwickeln oder bereits vorhandene Folgeschäden wieder zurückbilden. Ein weiteres Ziel ist die Vorbeugung der Arteriosklerose.

Jede Hochdruckbehandlung bei Kindern und Jugendlichen sollte mit allgemeinen Maßnahmen beginnen, wenn nicht extrem hohe und daher akut gefährliche Werte vorliegen. Eine zentrale Bedeutung bei den sog. nicht medikamentösen Maßnahmen hat die Steigerung der körperlichen Aktivität. Die Kinder und Jugendlichen sollten weniger Zeit sitzend vor Bildschirmen verbringen und sich stattdessen mehr bewegen. Vor allem Ausdauersportarten können helfen, den Blutdruck zu senken. Zudem erleichtert mehr körperliche Aktivität den Abbau von Übergewicht. Den Eltern wird geraten, nicht in unmittelbarer Nähe ihrer Kinder zu rauchen, weil Passivrauchen bei Kindern zum Hochdruck beiträgt.

Bislang gibt es keine Studien zum Einfluss der Ernährung auf Bluthochdruck bei Kindern. Als empfehlenswert gilt aber eine abwechslungsreiche Kost mit Obst, Gemüse und Ballaststoffen, die der Entwicklung von Übergewicht vorbeugen kann. Die bei Kindern und Jugendlichen so beliebten Getränke mit hohem Zuckergehalt sowie Energydrinks sollten gemieden werden. Auch bei Kindern trägt übermäßige Aufnahme von Kochsalz (Natriumchlorid) zum Bluthochdruck bei. Allerdings sinkt der Blutdruck nur bei einem Teil der Betroffenen, wenn Kochsalz eingeschränkt wird. Es wird empfohlen, im Einzelfall zu testen, wie sich eine Verringerung von Kochsalz auswirkt. Umgekehrt ist es wichtig, auf eine ausreichende Zufuhr von Kalium mit der Nahrung zu achten, wenn die Nieren normal funktionieren. Gemüse und Obst sind wichtige Kaliumlieferanten. Von Nahrungsergänzungsmitteln wie Koenzym Q10, Fischöl, Knoblauch und Ähnlichem wird abgeraten, weil es für Kinder dazu keine verlässlichen Studien gibt.

Wann kommen Medikamente infrage?
Über den Einsatz von Medikamenten bei Kindern und Jugendlichen mit Bluthochdruck wird nachgedacht, wenn es durch die oben beschriebenen nicht medikamentösen Maßnahmen nicht gelungen ist, den Blutdruck unter Kontrolle zu bekommen. Auch etwaige hochdruckbedingte Symptome, eine sekundäre Hypertonie, bereits nachgewiesene Organschäden, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) oder ein allgemein sehr hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sprechen für Medikamente.
 
Über die Wirkung von Hochdruckmedikamenten bei Kindern und Jugendlichen gibt es kaum Studien. Grundsätzlich kommen aber dieselben Medikamente wie bei Erwachsenen zum Einsatz. Begonnen wird in der Regel mit nur einem Medikament (Monotherapie). Wenn es damit nicht gelingt, den Blutdruck ausreichend zu verringern, kommt eine Kombination aus mindestens zwei Medikamenten infrage. Bei sekundärer Hypertonie wird meistens gleich mit einer Kombinationstherapie begonnen.
 
Das Wichtigste in Kürze

  • Etwa 5% aller Kinder und Jugendlichen weisen zu hohe Blutdruckwerte auf. Hoher Blutdruck ist ein Risikofaktor für die Arteriosklerose und kann lebenswichtige Organe schädigen.
  • Bluthochdruck ist insbesondere auch für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler oder später erworbenen Herzerkrankungen ein sehr wichtiges Thema.
  • Bei allen Kindern sollte der Blutdruck unabhängig von einem angeborenen Herzfehler ab dem dritten Lebensjahr einmal im Jahr gemessen werden.
  • Bei allen übergewichtigen und adipösen Kindern sollte er danach regelmäßig kontrolliert werden.
  • Kinder, deren Eltern und/oder Großeltern Bluthochdruck haben, sollten regelmäßig untersucht werden.
  • Werden wiederholt zu hohe Blutdruckwerte gemessen, sind weitergehende Untersuchungen angezeigt.
  • Gegebenenfalls sollten die Therapiemöglichkeiten mit der Kinderkardiologin/dem Kinderkardiologen besprochen werden.
  • Handelt es sich um einen primären Bluthochdruck, steht bei der Behandlung eine Änderung des Lebensstils (u. a. körperliche Aktivität, Ernährung) an erster Stelle.
  • Werden doch Medikamente nötig, kommen prinzipiell dieselben Substanzen wie bei Erwachsenen zum Einsatz, obwohl es kaum Arzneimittelstudien über die Wirkung bei Kindern gibt.


Dr. med. Martin Hulpke-Wette
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